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Geschichte

Das Folgende ist eine stark vereinfachte Geschichte des Tai Chi Chuan. Über die Entstehung und viele geschichtliche Details herrscht keine Einigkeit unter Praktizierenden und Gelehrten.

Es gibt die Version, die innerhalb der Familie Yang tradiert wurde (und daher auch von den Ablegern des Yang-Stils, vor allem in den Wu-Stilen übernommen wurde). Sie beruft sich auch Chang San Feng als Gründer des Stils in der Song-Dynastie und berichtet, dass die Kunst durch Chiang Fa wahrscheinlich Ende des 18. Jahrhunders nach Chenjiagou kam. Wir beziehen uns auf diese Version der Geschichte.

Ausgehend von der Volksrepublik China hat sich eine andere, im 20. Jahrhundert entstandene Version der Geschichte etabliert, in der die Gründungsfigur der pensionierte General Chen Wang Ting im 17. Jahrhundert sein soll.

Anfänge: Chang San Feng

Die Anfänge des Tai Chi Chuan liegen im Dunkeln. Der Legende nach wurde es vom taoistischen Unsterblichen Chang San Feng erfunden, der in der Song-Dynastie lebte, zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert.

Chang San Feng war ein Meister der äußeren Kampfkünste (Shaolin), der sich mit 70 Jahren in die Berge zurückzog und bei einem taoistischen Meister geheime Meditationspraktiken erlernte. Mithilfe dieser Techniken konnte er die Lebensenergie in seinem Körper enorm verstärken und willentlich fließen lassen, allerdings gelang ihm das erst einmal nur in der sitzenden Meditationshaltung. Erst die Beobachtung des Kampfes einer Schlange mit einem Kranich brachte ihm die Erkenntnis, wie man diese Energieströme auch in der Bewegung nutzen konnte.

Tai Chi Chuan wurde berühmt durch die Fähigkeit der Tai Chi Meister, diese Lebensenergie äußerst effizient im Kampf zu verwenden, um Gegner von sich abprallen zu lassen oder wegzuschleudern.

Chen Chia Gou (chenjiagou)

Erst im 19. Jahrhundert tauchte diese mysteriöse Kampfkunst nachweislich auf, in einem Dorf namens Chen Chia Gou (chenjiagou). Ein Reisender namens Chiang Fa (Jiangfa) hatte das Kampftraining der ansässigen Bevölkerung beobachtet und musste unwillkürlich lachen. Der darauf folgenden Herausforderungen der lokalen Kämpfer entledigte er sich mit Leichtigkeit, worauf er gebeten wurde, eine Weile im Dorf zu bleiben und seine überlegene Kampfkunst zu unterrichten. Er blieb 2 Jahre und einer seiner Schüler (vielleicht auch der einzige) war Chen Chang Hsing (Chen Changxing), der spätere Meister des berühmten Yang Lu Chan. Dieser durfte — da er einen fremden als Meister angenommen hatte — in der Folge die Kampfkunst der Chen-Familie nicht mehr unterrichten, die neue Kampfkunst unterrichtete er im Geheimen, des Nachts in seinem Haus, an ausgewählte Schüler.

Yang Lu Chan

Als Yang Lu Chan, ein Apothekergehilfe in Yongnian, mitbekam wie einer der Geschäftspartner der Apotheke mit Leichtigkeit mit ein paar Dieben fertigwurde, war sein Interesse an dessen Kampfkunst geweckt. Er selbst hatte schon ein wenig Erfahrung im Chang Chuan (einem externen Kung Fu Stil), aber diese unbekannte Kampfkunst schien so mühelos zu sein. Die Apotheke wurde geführt von einem gewissen Chen De Hu aus Chenjiagou, der Meister der geheimnisvollen Kampfkunst war kein anderer als Chen Chang Hsing.

Der Überlieferung nach kam Yang nach Chen Chia Gou, um bei dem berühmten Meister zu lernen, hatte aber als Fremder eigentlich keine Chance, als Schüler aufgenommen zu werden. So schlich er sich als taubstummer Diener in den Haushalt von Chen Chang Hsing ein und spionierte das geheime nächtliche Training aus. Nach einigen Jahren flog seine Verkleidung auf, dabei stellte sich aber heraus, dass er schon soviel gelernt hatte, dass er alle anderen Schüler des Meisters übertraf. Daraufhin wurde er formell als Schüler angenommen.

Wahrscheinlich hat sich die Geschichte nicht ganz so abgespielt und Yang kam mit einem Empfehlungsschreiben nach Chenjiagou. Aber wer weiss, ob Meister Chen nicht trotzdem einem Fremden gegenüber misstrauisch war.

Nachdem er einige Jahre bei Chen Chang Hsing gelernt hatte, bestritt Yang Lu Chan erfolgreich achtzehn Herausforderungskämpfe mit den besten Kung Fu Meistern seiner Zeit und ging dann nach Peking, wo er zum Chef der kaiserlichen Leibgarde ernannt wurde und zum Trainer der Mandschu-Prinzen avancierte.

Yang Lu Chan hatte bald den Beinamen „Yang der nicht kämpft“, da er für keinen Kampf mehr als 2 Bewegungen benötigte. Yang Lu Chan war der Ahnherr des berühmten Yang-Stils, aus dem die anderen Tai Chi Stile hervorgegangen sind.

Seine ersten Schüler waren Mitglieder der Familie Wu, denen das Haus gehörte, in der die Chens die Apotheke in Yongnian betrieben.

Die beiden Wu-Stile

Es gibt zwei Wu-Stile, den sogenannten alten und den jungen, die beide auf Yang Luchan zurückgehen. Die Namensgleichheit existiert nur in der Transkription, im Chinesischen sind es verschiedene Schriftzeichen.

Der alte Wu-Stil

Yang Luchan hatte in seinen frühen Jahren mit der einflussreichen und wohlhabenden Familie Wu ( 武) zu tun, da dieser das Haus gehörte, in der sich die Apotheke befand, in der er für die Chen-Familie  arbeitete. Einer der Wu-Brüder, Yu-Hsiang, lernte von Yang Luchan kurz nachdem er von Chen Chang Hsing ausgebildet worden war. Er wollte selbst auch noch bei Meister Chen Unterricht nehmen, allerdings kam das nicht zustande und er lernte noch eine kurze Zeit bei Chen Ching-Ping. Bekannt wurde dieser Stil auch als "Hao-Stil", da er in der Familie Hao weiter tradiert wurde.

Der neue Wu-Stil

Als Yang Luchan Ausbilder der kaiserlichen Leibgarde war, war einer seiner Schüler Quanyou, ein mandschurischer Hauptmann. Erst sein Sohn nahm den chinesischen Namen "Wu" (吳) an und so gilt Wu Chien Chuan (Wu Jianquan) als der Begründer dieses Stils. 

Yang Pan Hou und Yang Chien Hou

Yang Luchan hatte drei Söhne, der älteste verstarb allerdings früh. Die beiden anderen, Pan Hou und Chien Hou, mussten ein so hartes Training erdulden, dass sie wiederholte Male versuchten, von zu Hause davonzulaufen. Das harte Training zeigte aber Wirkung und beide wurden die herausragenden Kampfkünstler ihrer Zeit, Yang Pan Hou, der viele Herausforderungskämpfe bestritt, erbte den Beinamen seines Vaters "Yang der Unbesiegbare".

Yang Shou Hou und Yang Cheng Fu

Yang Chien Hou hatte zwei Söhne, Shou Hou und Cheng Fu. Während Shou Hou von Kindheit an fleißig übte und auch viel mit seinem Onkel Pan Hou trainierte, vernachlässigte Cheng Fu bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr das Training, sah dann aber seinen Fehler ein und übte Tag und Nacht um das Verpasste nachzuholen.

Shou Hou hatte ein kämpferisches Temperament wie sein Onkel, was ihn als Kämpfer berühmt und gefürchtet machte, das Training mit ihm war aber so hart, dass er nur wenige Schüler hatte. Yang Cheng Fu dagegen machte das Tai Chi Chuan in ganz China bekannt und hatte hunderte Schüler.

Yang Cheng Fu und die Entstehung der Yang-Stile

Yang Cheng Fu hatte hunderte Schüler, aber nur fünf Meisterschüler, darunter bekannte Meister wie Chen Wei Ming und Tung Ying Chieh nicht aber Cheng Man Ching, der Mann, der Tai Chi Chuan im Westen bekannt gemacht hat.

Meisterschüler (engl. "disciple", chin. tú dì) zu sein bedeutet, dass man in den inneren Kreis aufgenommen wird und von nun an auch in den geheimeren Aspekten unterwiesen wird. Es ist kein Zertifikat, dass man alle diese Aspekte bereits beherrscht!

Viele der Schüler gaben später das weiter, was sie gelernt hatten, je nach Erkenntnisstand dieser "Meister" gibt es daher große Unterschiede in dem was nun als "Yang-Stil Tai Chi Chuan" unterrichtet wird. Dazu kommt noch, dass die alten Meister die Angewohnheit hatten, ihren Schülern genau das beizubringen, was für sie individuell gerade am Nützlichsten war zur persönlichen Weiterentwicklung. Brach jemand die Ausbildung frühzeitig (also bevor er ca. 15 Jahre gelernt hatte) ab, war er natürlich der Meinung, das was er gelernt hatte, sei allgemeingültig für Tai Chi Chuan.

Yang Shou Chung: Familientradition

In den Wirren des 20. Jahrhunderts wurde die Yang-Familie auseinandergerissen. Ein Teil emigrierte nach Hong Kong, andere blieben in der Volksrepublik China. Yang Shou Chung, der älteste Sohn von Yang Cheng Fu, schon voll ausgebildet und seit Jahren Assistent seines Vaters, verließ 1949 Festlandchina, während sein jüngerer Bruder Yang Zhenduo mit einem anderen Teil der Familie zurückblieb. Er war zu dem Zeitpunkt ca. 11 Jahre alt und hatte erst vor wenigen Jahren mit Tai Chi Chuan begonnen (in der Regel begann der Unterricht mit 8 Jahren). Seine Ausbildung wurde von Schülern seines Vaters vollendet.

Der "Gatekeeper" des Yang-Familienstils war naturgemäß der ältere Bruder, Shou Chung. Er war nicht nur von seinem Vater mit großer Härte ausgebildet worden, sondern hatte auch viel von seinem Onkel, Shou Hou, gelernt.

Die 5. Generation

Yang Shou Chung hatte drei Töchter, aber keine Söhne. Traditionell wurden Töchter in Kampfkunstfamilien in der Regel nicht ausgebildet, da sie, wenn sie heirateten, die Familiengeheimnisse nach außen tragen würden. Die Töchter von Yang Shou Chung bekamen aber sehr wohl Einweisung in den Familienstil, Ma-Lee betreibt immer noch eine Tai Chi Chuan Schule in Hong Kong.

Darüber hinaus hat Yang Shou Chung drei Meisterschüler ausgebildet, Ip Tai Tak, Chu Gin Soon und Chu King Hung.

Fortführung der Tradition

Legitimation im Tai Chi Chuan gibt es über die Genealogie sowie über die Kompetenz. Die Genealogie gibt an, ob man aus einer Tradition kommt, die möglicherweise (aber nicht zwingend) die vollständige Überlieferung besitzt. Das kann die Blutlinie sein (die Yang-Familie in China und die Töchter von Yang Shou Chung) oder eine Linie von Meisterschülern, die auf die Yang-Familie zurückgehen (Meisterschüler von Yang Cheng Fu oder Yang Shou Chung).

Ob die Yang-Meister früherer Generationen echte Meisterschüler angenommen haben, also bereit waren, ihnen das gesamte Wissen zu übermitteln, ist nicht bekannt. Bereits Yang-Luchan hatte einige Schüler, die ein hohes Niveau erreichten, aber es ist nicht bekannt, ob sie offiziell als Meisterschüler anerkannt waren. Einige haben ja auch eigene Familienstile begründet (die beiden Wu-Stile).